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25
Feb 2022
- Kategorie: Fan-Blog
- Geschrieben von Manfred Krug
Corona hat die Musikwelt verändert
Seit Frühjahr 2020 hat die Corona-Pandemie das Leben von uns allen in irgendeiner Weise beeinflusst, mal weniger und manchmal auch mehr. Die Musikbranche jedenfalls wurde wesentlich beeinträchtigt und das führte zu einigen gravierenden Veränderungen. Aber auch uns Vinyl-Fans betrifft die Situation bis heute. Dieser Bericht versucht, die diversen Auswirkungen zu beleuchten. Und dabei ist bei weitem nicht alles so negativ, es gibt auch sehr positive Aspekte!
Auswirkungen der Pandemie auf Musiker und Vinyl-Fans
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Musikwelt haben teils tiefe Spuren hinterlassen. Dieser Bericht teilt sich in drei Bereiche auf: die Musik bzw. die MusikerInnen, dann den Tonträger Schallplatte und schließlich die Hörer. Dabei versuchte ich, sowohl die negativen als auch die positiven Veränderungen aufzuzeigen, unter Berücksichtigung einiger Studien. Zum Schluss kommen noch einige Stimmen aus der Branche zu Wort.
1. Musik in der Corona-Pandemie
Die Musik ist natürlich ohne die MusikerInnen nicht möglich. Trotzdem möchte ich im Zusammenhang mit den Pandemie-Auswirkungen zunächst kurz die Musik selbst in den Blick nehmen und dann die Künstler. Ausserdem darf man einerseits die Thematik Livekonzerte und anderseits die Aufnahmen für Tonträger betrachten.
Eine Studie des Deutschen Musikrates* beleuchtet ausführlich das Musikleben vor und in der Corona-Zeit. Sie befragten 2.851 Personen aus drei Gruppen: Profil 1 mit überwiegend musikpädagogischer Tätigkeit war zu etwa 49 % vertreten, Profil 2 mit überwiegend musikwirtschaftlicher Tätigkeit zu ca. 19 % und Profil 3 mit überwiegend künstlerischer Tätigkeit mit knapp 32 %. Unter den verschiedenen Ergebnissen wurde besonders bei Profil 3, in welchem wohl im Wesentlichen MusikerInnen vertreten sind, festgestellt, dass hier während der Pandemie ganz erhebliche Einkommensverluste stattfanden. Auch nach Erhalt von staatlichen Hilfeleistungen blieb eine Umsatzminderung von rund 31 % übrig.
Wie wir wissen, gab es und gibt es noch immer einen Weg, den viele Künstler beschreiten: Streaming oder Online-Konzerte. Nach dem weitgehenden Wegfall sämtlicher Auftrittsmöglichkeiten, Absagen von Konzerten und Abbruch von Tourneen blieb selbst großen Stars und Bands nur noch der digitale Weg. Ein finanzieller Ersatz war dies bei weitem nicht, doch das Streamen war und ist nötig, die Bindungen zu den Fans zu wahren. Unbekanntere Musiker und Gruppen tun sich da im Netz extrem schwer, ausreichend Aufmerksamkeit zu erreichen. Nach den Lockerungen hatten zumindest Letztere die besseren Chancen, sich bei dem, meist nur vor kleinem (möglichen) Publikum, zu präsentieren. Die Musikfans waren jedenfalls nach der langen Konzertpause gierig nach jedem Liveauftritt. Für Stars und große Bands bzw. deren Veranstalter waren Live-Acts mit der limitierten Besucherzahl schlicht unrentabel, es war also die Zeit der Newcomer und Künstler, die ohnehin keine großen Konzerte bestreiten konnten.
Schwierig bis unmöglich wurde es während der Lockdowns, Aufnahmen zu neuen Schallplatten zu machen oder zumindest, gemeinsam zu proben. Im Grunde verlagerte sich alles in die heimischen vier Wänden, sei es für Streaming oder Video-Schaltungen zu den Mitspielern. Die Künstler mussten ihre Strategie ändern, vermutlich wurden noch nie in der Musikgeschichte so viele Musikfiles herumgeschickt wie während der Pandemie!
Mir fiel jedenfalls auf, dass verstärkt Solo-Alben veröffentlicht wurden, die seit etwa Frühjahr 2020 entstanden sind. Klar, einerseits konnten Musiker nicht mehr gemeinsam im Studio beisammen sein und dann war da ja auch der Kostenfaktor. Eine Soloaufnahme lässt sich günstiger realisieren als eine längere Zeit im Studio mit mehreren Bandmitgliedern. Zumal für die meisten, wie oben bereits erwähnt, die Einnahmen weggebrochen sind und kleinere Brötchen gebacken werden mussten.
Negatives hierzu von der Studie des Deutschen Musikrates:
„Mit Andauern des zweiten Shutdowns aber wird vermehrt von zunehmenden psychischen und physischen Belastungen berichtet. Isolationsempfindungen im Sinne von fehlenden Sozialkontakten, fehlenden künstlerischen Anregungen ebenso wie ein zunehmender Motivationsverlust werden in den Gesprächen angegeben. Man sieht das eigene künstlerische Wachstum gefährdet, die Außenwirkung fehle und man gerate in eine lethargische Grundhaltung. Die fehlenden Öffnungs-Szenarien schaffen Perspektivlosigkeit, die insbesondere junge Berufs- und Amateurmusiker/innen massiv bedrücken. Jugendliche berichten von einem „schmerzhaften Vermissen“ und im musikpädagogischen Bereich Tätige bestätigen zunehmend depressive, verunsicherte und vereinsamte Studierende. Die Ungewissheit, wie es nach dem erneuten Stillstand weitergehe, belaste ausnahmslos“.
Doch wie so oft im Leben hat diese Zeit auch etwas Gutes für zahlreiche Künstler: ebenfalls in der Studie des Deutschen Musikrates wird folgendes erwähnt: „Ähnlich wie im ersten Shutdown gab es auch im zweiten Shutdown Gesprächspartner/innen, die von einer als angenehm und motivierend empfundenen Entschleunigung berichteten, von der Konzentration auf „Herzensprojekte“ oder auf „Self-Care“. Auch einige wenige Kommentare in den Freifeldern des Fragebogens thematisieren das Gefühl einer solchen Entlastung“.
So oder ähnlich konnte ich es auch in manchem Pressetext zu neuen LPs lesen. Musiker nutzten die „neu gewonnene“ Zeit, sich kreativ zu entfalten und sich der eigenen Fähigkeiten zu besinnen. Es entstanden nicht wenige Aufnahmen, die bemerkenswert inspiriert und konzentriert wirkten. Aber mehr dazu im nächsten Teil.
2. Schallplatten in der Corona-Pandemie
Wie im vorherigen Teil beschrieben, scheint die Pandemie inhaltlich auf die neuen Schallplatten Einfluss genommen zu haben. Vermehrt kamen LPs mit akustischer Musik heraus, Solo-Werke und solche, die intime Momente ausstrahlen. Musiker widmen sich ausführlicher bestimmten, oft auch persönlichen Themen, seltener jedoch der Pandemie selbst. Da so einige auch Multi-Instrumentalisten sind, hören wir Musik, als hätte eine ganze Band gespielt.
Als Folge bekamen wir Vinyl-Fans auch so manche Vinylscheibe auf den Plattenteller, die dank der akustischen Instrumente auch sehr gut aufgenommen wurde. Da zeigt sich wieder, weniger ist dann doch auch mal mehr! Ich habe auch den Eindruck gewonnen, dass oben erwähnt die Künstler sich intensiver mit gewissen Themen auseinandergesetzt haben, die Ergebnisse mehr Persönliches widerspiegeln. Leider aber gilt das bei weitem nicht generell, im Gegenteil. Damit komme ich zu einem ziemlich negativen Aspekt, der sich durch die Pandemie noch verstärkt hat: die hohe Nachfrage nach Vinyl hat auch erhebliche Probleme sowohl auf künstlerischer Seite als auch in der Fertigungs-Qualität mit sich gebracht.
Künstlerisch deshalb, weil die großen Plattenkonzerne, aber auch die mittelgroßen und auch kleinen Plattenlabels nahezu jeden Titel auch auf Schallplatte pressen lassen wollen. Ob wir tatsächlich eine „Fleetwood Mac - Rumours“ in der 100er Wiederauflage in allen möglichen Farbvarianten brauchen und ob wir tatsächlich auch den alternden Schlagerstar, nenne ich ihn höflich mal Mr. X, auf Platte haben wollen? Tatsächlich sorgen mittlerweile Topstars wie Adele für Vinyl-Auflagen ihrer neuen LP von 500.000 Stück! Und Großkonzerne blockieren mittlerweile für solche Veröffentlichungen ganze Presswerke für längere Zeit, denn sie haben dann ja auch noch andere Mega-Seller, die auch auf Platte gepresst werden sollen. Ein recht ausführlicher Beitrag dazu findet sich auf der Webseite von DJ-Lab**.
Die hohen Verkaufszahlen und riesigen Auflagen haben ihre Schattenseiten: Überlastete Presswerke, extrem lange Wartezeiten. Kleine Plattenlabels müssen hinten anstehen. Weniger bekannte Musiker können nicht sicher sein, dass sie für eine Konzerttour rechtzeitig eine neue Platte dabei haben, welche für sie ein wichtiger Umsatzposten darstellt.
3. Musikhören in der Corona-Pandemie
Eines dürfte wohl ziemlich klar sein: insbesondere während der Lockdown-Phasen sowie diversen Kurzarbeit-Wochen dürfte so mancher Vinyl-Freund sehr viel mehr Zeit für das Musikhören gehabt haben. Doch was hörten die Leute so? Pflegten sie den Pandemie-Blues mit eher nachdenklicher und melancholischer Musik oder im Gegenteil mit fröhlicher, vielleicht lauter oder gar progressiver bis gar aggressiven Scheiben? Eine Studie des Max-Planck-Institut*** ging zunächst der Frage nach, wie Musik den Menschen während des Lockdowns Halt gegeben hat. Dabei zeigte sich bei den rund 5000 befragten Menschen in drei Kontinenten, dass die Musik tatsächlich vielen geholfen hat, diese Zeit besser zu bewältigen.
Obwohl die Lockdown-Maßnahmen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich verliefen, war dennoch weniger Trennendes zwischen den weltweit Betroffenen zu erkennen, die Musik schien allen ein probates Hilfsmittel zu sein. Immerhin gaben 55 bis 57 Prozent der Befragten Verhaltensänderungen in Sachen Musikkonsum an - klar, wenn man auf die eigenen vier Wände beschränkt blieb. Wenig erstaunlich dabei: viele erwähnten, die Musik helfe ihnen emotional, auch sich weniger allein zu fühlen.
Illustration: MPI für empirische Ästhetik / Claudia Schille
Laut der genannten Studie stärkt Musik die Resilienz (die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen psychisch leichter zu überstehen). Bei der Studio geht es allerdings nicht um die Musik selbst, sondern sie beleuchtet den Umgang mit der Musik. Während die eine Gruppe der insgesamt 5000 befragten Personen (welche die Pandemie schwerer bewältigte) Musik „zur Regulierung von Depressionen, Angst und Stress“ einsetzte, nutzte die andere Gruppe mit vorwiegend positiver Grundstimmung die Musik vor allem als Ersatz für soziale Interaktionen.
Da Livemusik erleben seit Frühjahr 2020 quasi gar nicht mehr möglich war und in den Zwischenphasen auch nur in eher kleineren Rahmen, blieb oft nur die Konserve. In der erwähnten Studie ist sogar von einer „Coronamusik“ die Rede, wenngleich sie nur vage beschrieben wurde: „Dabei handelt es sich um musikalische Reaktionen auf die Corona-Krise – neu komponierte Stücke, thematische Wiedergabelisten sowie bereits existierende Songs, deren Texte mit Bezug auf die Pandemie überarbeitet wurden.“
Was jedoch herausgefunden wurde ist, dass manche wohl auch neue Musik und andere Genre für sich entdeckten. Durch das nun konzentriertere Hören tauchten da wohl für einige Hörer neue Aspekte auf, die beim zuvor eher nebenbei Konsumieren von Musik unentdeckt blieben. Als Vinylfan taucht da ein wissendes Lächeln auf: ist für uns das intensive Auseinandersetzen mit einer Schallplatte nicht ganz selbstverständlich? Und ist das in der Studie erwähnte Phänomen nicht eher eines, das auf CD- oder gar Streaming-Hörer zutrifft. Nun, das jedenfalls wurde sicherlich nicht erforscht und bleibt eher eine Spekulation.
Ludovico Einaudi | Foto: Duet Postscriptum
Einen interessanten Aspekt wollen die Forscher noch entdeckt haben: dass „Musik eine Art Gesprächspartner sein kann“. Was damit gemeint ist: ein Musiker drückt mit seiner Musik, mit den Texten und mit den besonderen Arrangements etwas aus, das der Zuhörer in irgendeiner Form aufnimmt, das ihn anspricht. So entsteht eine Art Dialog, das Musikhören quasi zu einem aktiven Geschehen werden lässt. Gute Musiker nutzten sozusagen die Pandemie, den Fans noch näher zu sein. Und mehr noch. Musik kann helfen, das Menschen emotional stabil bleiben und bei einer gewissen Labilität einen Haltegriff liefert. Für die Politik kann diese Erkenntnis dazu dienen, die Bedeutung der Musik noch stärker in den Fokus zu rücken. Oder noch weiter gegriffen: die Kultur, die ja in der Krise extrem gelitten hat, als ganz wesentlich systemrelevant anzuerkennen und entsprechend künftig stärker zu stützen. Zudem ist die Musikkultur auch ein Wirtschaftsfaktor, der mittlerweile auch registriert wurde.
In der Eiszeit-Studie* wurde schließlich als Auswirkung der Wert bzw. der Rang von Kultur in der Gesellschaft mit klarer Abwertung erkannt. Allerdings auch, dass die Pandemie hier eher als Brandbeschleuniger als Ursache genannt wurde. Schon lange vor Corona galt für viele „Money For Nothing?“ - solange etwas kostenlos zu haben war, griff man zu und sobald man dafür zahlen musste… bezahlte Musikstreams mussten sich in der Pandemie erst einmal bewähren. Dennoch bleibt die Hoffnung, dass in dieser Phase auch Positives entstand. Der Wert dessen, was Künstler uns präsentieren, wird mitunter wieder etwas stärker wertgeschätzt. Ob das Image von MusikernInnen, insbesondere der breiten Masse an noch unbekannteren Namen und doch großen Talenten, sich verbessert, bleibt abzuwarten. Die heutigen Plattenhörer haben es in der Hand.
Stimmen zum Thema
Die Schallplattenläden
Plattenladen 33 1/3, Duisburg
Schallplatten werden also in Massen gekauft. Doch wo? Der kommerzielle Trend während der Pandemie geht generell klar zugunsten des Onlinehandels. Die Lockdown-Phasen, bei den die stationären Geschäfte schließen mussten, sorgten für einen gewissen Gewöhnungseffekt. Es ist bequem, am heimischen Rechner oder dem Handy eine Bestellung zu tätigen und ohne die Füße vor die Türe setzen zu müssen, nur wenige Tage später die gewünschten Scheiben in den Händen zu haben. Die Leittragenden waren die Ladengeschäfte, die später, als sie wieder öffnen durften, meist bei weitem nicht mehr den Vor-Pandemie-Status erreichen konnten. Doch wie erging es den Plattenläden? Erstaunliche Antworten mit recht unterschiedlichen Ergebnissen zeigten, dass sich doch individuelle Situationen ergaben.
So etwa hat der Schallplattenmann Bernhard Sauer (Erlangen) von je her auf künstlerische Tiefe und Vielfalt gesetzt und sich mit seinen Tipps und Empfehlungen ein gutes Stammpublikum erarbeitet. Zwar blieben so manche dieser Stammkunden während der Pandemie aus, was mitunter an Homeoffice und geänderten Arbeitswegen gelegen hat. Aber es kamen auch neue Kunden hinzu, die jenseits von Amazon & Co. wieder die Beratung vor Ort schätzen.
Zepp Oberpichler vom Schallplattenladen 33 1/3 in Duisburg kann auf eine fast 40-Jährige Geschichte seines fast schon kultartigen Ladens zurückblicken. Allerdings tut er sich zusehend schwer, seinem treuen Stammpublikum die Preise der LPs zu erklären. Manche Scheiben kosten ihm im Einkauf fast so viel, wie der Endverbraucher bei den Online-Riesen bezahlt. Dass da kein Gewinn zu erzielen ist, dürfte auch demjenigen einleuchten, der in Mathe nicht so bewandert ist. Oberpichler setzt daher auf Direkteinkauf bei Plattenlabels und nicht den großen Vertrieben oder Zwischenhändlern, da kann er attraktive Preise für die Käufer im Laden erzielen. Ausserdem registriert er auch das Feedback seiner Kundschaft, für die der Plattenladen auch „Treffpunkt ist, der Schaltstelle ist, der Kommunikationszentrum ist, dem definitiv eine soziale Aufgabe zukommt“.
Stefan Maierhofer vom Schallplattenladen (ehemals München, jetzt Otterfing bei Holzkirchen) beklagt die Mietpreise für Läden in den Innenstädten. Er selbst konnte und wollte die hohen Preise der Münchner City nicht mehr mittragen und hat nun ausserhalb der Großstadt sein Domizil gefunden. Zwar sieht Stefan noch Zukunft für den Plattenladen, jedoch nur in Kombination mit einem Online-Zweig. Ausserdem meint er: ein „amtlicher Plattenladen hat ab 50.000 LPs aufwärts im Laden und zwar nur Vinyl. Hat gute Musik am Laufen und bietet Abhörmöglichkeiten, einen Plattenreinigungs-Service und auch einen Plattenbügler-Service“.
Thomas von Black Diamond Records hatte durch die Pandemie ein eher anders geartetes Problem: da sein Hauptgeschäft bei Second Hand liegt und er vor Corona regelmäßig nach Japan und in die USA zum Plattenkauf geflogen ist, fiel dies erst mal weg. Zunächst gewährte Corona Hilfen konnten den hohen Verlust erst mal ausgleichen, doch musste er dies wohl wieder zurückzahlen. Trotzdem sah er auch positives an dieser Zeit: „Es war nicht mehr soviel los im Laden, hatte viel mehr Zeit und Muße zum Sortieren und Aufräumen. Der Verkehr hatte sehr stark nachgelassen. Ich wohne außerhalb und muß täglich 25 Km nach Köln reinfahren, was zu Zeiten des Lockdowns von einer Qual zu einem Genuss mutierte“.
Peter Bongartz (Erlangen) meint: „Natürlich wird Vinyl für uns immer wichtiger, aber anders als Amazon und Co. hatten wir natürlich immer schon Vinyl. Und so fängt es wohl auf, was bei der CD wegfällt. Ausgerechnet während des Lockdowns waren es aber unsere CD-Stammkunden (und die ganz treuen Vinyl-Nerds), die uns überleben ließen. Denn was halt nicht ging, war stöbern und blättern. Also das, was das Vinylkaufen so schön macht. Allerdings machen die Lieferschwierigkeiten unser Leben eher wieder schwer und gerade jemand wie Amazon kauft halt große Mengen und hat dann noch, wenn wir nix mehr kriegen. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir werden noch mehr zur Nische, als wir es eh schon immer waren, aber wir machen es uns in dieser Nische sehr bequem und gedenken noch lange in ihr zu verbleiben“.
Die Musik-Branche
Hellmut Hattler / Musiker
Hellmut Hattler | Foto Hans Bürkle
„Der erste harte Lockdown hat uns ja alle kalt erwischt - und die Kulturschaffenden ganz besonders. Klar, jeder reagiert anders auf Krisen, ich hatte jedenfalls den Drang zu komponieren und mich auf meine Ursprünge zu besinnen, was dazu führte, meine KRAAN-Leute übers Netz mit meinen Ergüssen zu beglücken, was wiederum dazu führte, dass in relativ kurzer Zeit ein komplett neues KRAAN-Album entstand, diesmal ohne zusammen in einem Aufnahmeraum zu stehen, sondern jeder trug seine Spuren sozusagen per Homeoffice bei. Inhaltlich gibt es auf jeden fall nachdenkliche Töne aber auch übersprungmässig Grelles. Das Album erschien 2020 als CD und LP und läuft super.
Beim zweiten Lockdown waren wir alle zwar noch genervter, aber auch schon routinierter und ich hatte den Impuls, jetzt erst recht eine Produktion zu machen, die alles, was ich musikalisch bin und je an Erfahrungen gemacht habe in Perfektion beinhalten soll, drum ging ich auch für alle Aufnahmen ins Studio und arbeitete akribisch, aber ohne stilistische Limitierungen, an den neu komponierten Songs und Instrumentals weiter. Es war im Nachhinein gesehen ein verbissener Kampf gegen das Vakuum, das durch zig abgesagte Konzerte entstanden war. Auch bei dieser Produktion habe ich die allgemein herrschende Atmosphäre versucht musikalisch einzufangen und in die Titel einfließen zu lassen, was den Vorteil hatte, dass es wohl keinerlei kommerzielle Schere im Kopf gab, sondern alles musste raus.
Meinen auserwählten Mitwirkenden habe ich meine files samt Pilotspuren rumgeschickt und alle waren irgendwie froh, in dieser Zeit ohne Druck und unbeschwert etwas sinnvolles zu tun zu haben und ihre Beiträge zu leisten.
Die GEMA hatte zudem in dieser Zeit ein Stipendienprogramm für interessante musikalische Projekte während der Pandemie ausgeschrieben, an dem ich für diese Produktion erfolgreich teilnahm, was die leicht explodierenden Kosten etwas gedämpft hat. Die Produktion ist jetzt unter „HATTLER - Sundae“ auch auf Vinyl erschienen. Da ich ja auch die Konzertbuchungen für die o.g. Bands mache, weiß ich ganz gut um die Nöte der Veranstaltungsbranche und bin inzwischen immer wieder ziemlich erstaunt, wie ideenreich viele von ihnen versuchen mit neuen Konzepten zu überleben. Darüber hinaus habe ich das Gefühl, dass für viele meiner Fans (die letztlich auch meine Kunden sind, da ich ja auch mein „Bassball Recordings“ Label betreibe) die Musik in den letzten zwei Pandemiejahren eine wichtigere Rolle spielt als davor. Der steigende Umsatz von Vinyl-Alben und die positiven Rückmeldungen darauf sind jedenfalls ein klarer Hinweis darauf, dass sich die Leute wieder zu Hause vermehrt vor den Plattenspieler setzen um die Musik in Ruhe und guter Qualität zu genießen, was wiederum mich ermutigt, einfach tapfer weiterzumachen.“
Ben Sorgenfrei / Mosaik Music Promotion
„Die Corona-Pandemie ist mit Sicherheit gerade am Anfang eine völlig neue und überwiegend auch schwierige Situation für so gut wie alle Bereiche der Musikbranche gewesen, aber natürlich insbesondere für die Kunst- und Musikschaffenden, die KünstlerInnen. Aufgrund der digitalen Monetarisierungssituation und Ausschüttungs-Veränderungen und dem Stichwort „Value Gap“ ist es natürlich gerade in den letzten Jahren zunehmend das Livegeschäft, welches in Zeiten von einem knapp 80 prozentigen Digitalanteil des Musikumsatzes für viele KünstlerInnen essentiell geworden ist. Da dieses nun seit fast zwei Jahren kaum noch planbar ist, sind viele KünstlerInnen in der vergangenen Zeit extrem produktiv gewesen, mussten (digital) umplanen, sind noch deutlich stärker in die Digitale- und Social-Media-Welt eingetaucht, aber auch gehäuft selbst viel mehr im Gesamtprozess der Albumveröffentlichung, auch abseits des Studios präsent.
2021 steht für mich sinnbildlich für ein Jahr, in dem sehr viel veröffentlicht wurde: Viele verschobene Alben, die eigentlich 2020 schon erscheinen sollten und Alben, die eben in diesen Zeiten 2020 und 2021 aufgrund der ausgefallenen Touren entstanden sind. So hat Herbert Pixner beispielsweise die mit dem Tonkünstler Orchester geplante und leider ausgefallene Programmreihe „plugged in“ kurzfristig mit dem schon gebuchten MusikerInnen für einen Konzertfilm und als „Studio-Album“ aufgezeichnet und als „Symphonic Alps Plugged-in“ herausgebracht. Viele KünstlerInnen haben sich aber auch komplett neu ausprobiert, ein gutes Beispiel dafür ist „Dishee“ von Hugo Race, indem der Künstler die vergangene Zeit mit Meditation, Mantras und sphärischen Sounds verarbeitet und Revue passieren lässt. Ein drittes Beispiel für ein (dramatisches) „Corona-Album“ ist „Beyond The Blue“ von Brain Damage und Big Youth, welches im März 2020 genau zum Anfang der Pandemie entstand und dem Produzenten und Engineer Samuel Clayton Jr. als erstes Corona-Opfer Kingstons noch vor Ort das Leben kostete.
Zeitgleich ist eine die steigende Beliebtheit von Vinyl, seit Beginn der Pandemie zu beobachten. Ich denke die Gründe dafür sind zum einen der Unterstützungsgedanke, KünstlerInnen aber auch den Lieblingsplattenladen um die Ecke durch den Kauf des Tonträgers helfen zu wollen, zum anderen natürlich aber auch das verpasste Musikevent und soziale Kontakte durch etwas Warmes, Physisches und Analoges auszugleichen. Schallplatten sind im Vergleich zur digitalen Schnelllebigkeit etwas standhaftes und vielleicht auch ein Stück Normalität im Gedanken an eine zurückliegende, unbeschwerte Zeit.
Der Großteil der KünstlerInnen war kreativ, konnte die Zeit nutzen und durch Improvisation das Beste aus der Situation machen. Auch für 2022 rechne ich mit vielen weiteren Veröffentlichungen, die so sonst nie entstanden wären, aber hoffe natürlich auch auf planbarere und beständigere Zeiten für die gesamte Branche.“
*Quelle: https://www.musikrat.de/fileadmin/files/DMR_Musikpolitik/DMR_Corona/DMR_Eiszeit_Studie.pdf
**Quelle: https://www.dj-lab.de/die-vinylkrise-eine-blase-implodiert-reportage-teil-1/
***Quelle: https://www.mpg.de/17278639/musik-resilienz-coronakrise
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