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Schallplatten Regal Waterloo Records USA

Waterloo Records, Austin, Texas / USA | Foto: Spencer Selvidge

Eine Rekordwoche an den Weihnachtsfeiertagen und nahezu eine Verdoppelung der LP-Verkaufszahlen von 2021 zu 2020. Diese Nachricht aus den USA freut natürlich Vinyl-Fans - einerseits. Und auf der anderen Seite der Medaille stehen die Probleme der Presswerke, die enorm gestiegene Nachfrage zu bewältigen. Mehr zu diesem Thema und einige spannende Zahlen hier im Bericht.

 

Schallplatten: Verkaufs-Rekorde sorgen für überlastete Presswerke

Vinyl Pressmaschine MY45Wer hätte das vor, sagen wir mal, einigen Jahrzehnten gedacht, dass die Vinyl eine derart steile Karriere durchlebt. Anfang der 90er prognostizierten fast alle „Experten“ den baldigen Tod des Tonträger Schallplatte, 30 Jahre später werden in den USA mittlerweile mehr LPs als CDs verkauft. Der Umsatz stieg im Jahr 2021 um 54% gegenüber 2020 auf insgesamt 41,7 Millionen*. In Deutschland ist man zwar noch nicht so weit, doch auch hier geht ein ähnlicher Trend voran, denn auch hierzulande gibt es ein Umsatzplus von 49,5 Prozent** bei der Vinyl.

Laut RIAA (Recording Industry Association of America) machen die physische Tonträger in der ersten Jahreshälfte 2021 nur noch 10% der Gesamt-Einnahmen aus den Musikgeschäft aus, davon jedoch gehen mit 467 Millionen Dollar mehr als zwei Drittel auf Vinyl zurück!

Im Jahr 2019 hat z.B. das US-Plattenlabel Thirty Tigers etwa 295.000 Einheiten Vinyl verkauft und 2021 im Jahr dürften es voraussichtlich 800.000 gewesen sein. Und Ketten wie Walmart und Target, die längst aus dem CD-Geschäft so gut wie ausgestiegen waren, bestellen jetzt zusätzlich Exklusivpressungen, manchmal nur einen Titel in mehreren Farb-Varianten. Ähnliches kennen wir auch hierzulande von einigen größeren Versandfirmen.

Und dann ist da noch die Nachricht, dass in den USA in der Weihnachtswoche mit 2,11 Millionen verkauften Schallplatten ein neuer Rekord aufgestellt wurde, das höchste Ergebnis seit 30 Jahren!

Des Weiteren fällt auf, dass z.B. im Jazz-Bereich ziemlich viele Neuveröffentlichungen parallel als CD und LP veröffentlicht werden. Selbst Klassik-Alben gibt es vermehrt als Platte, renommierte Plattenlabels wie Deutsche Grammophon werden da sicher ganz genau wissen, was sie tun (ein Blick in den DG-Store wird so manchen Vinyl-Fan erstaunen lassen!).

 

Die Kehrseite des Vinyl-Boom

Vinyl Granulat Gruen My45Vinyl-Granulat bei MY45

Auch hier blicken wir mal in die USA. Und zwar zur Situation 2021, im zweiten Pandemie-Jahr. Denn laut dem Branchen-Portal Variety ist die Covid-Zeit mit einer der Gründe dafür, dass die LP so extrem nachgefragt wurde. Die Leute waren zuhause und haben sich weit mehr als zuvor mit Platten beschäftigt.

Die extrem gestiegene Nachfrage sorgte für heißlaufende Pressmaschinen. Und für Mangel an dem begehrten Rohstoff Vinyl - einem Granulat, für das es gar nicht so viele Hersteller gibt. Eine witzige Anekdote dazu schrieb auch Variety: das Granulat, welches für die Schallplatte verwendet wird, kann auch zur Wohnungsrenovierung genutzt werden. Weil Holz teuer ist, verlegen mehr Leute Vinylböden in ihren Häusern. Für die Vinylhersteller ist es viel einfacher, Vinylpellets an die Bodenbelagsfirmen zu verkaufen. Und schon war ein unerwarteter Engpass für Schallplatten-Presswerke entstanden.

Dazu passt, dass manche Farben einfach nicht zu haben waren. Wenn wieder eine Großbestellung eines Musikkonzerns oder einer Kette eintraf, die einen bestimmten Titel z.B. in Blau und Gelb wollten, war da schnell der Markt leergefegt. Bei manchen Neuveröffentlichungen und häufig auch bei Reissues werden gleich mehrere Farbvarianten geordert, was die Problematik in den Presswerken nur noch weiter verschärft.

Sean Rutkowski, Vizepräsident des Presswerks Independent Record Pressing in New Jersey erwähnte, dass der Vorrat an farbigen Vinylgranulat so begrenzt war, dass er bei 43 Veröffentlichungen, die noch vor Weihnachten 2021 erscheinen sollten, den Labels mitteilen musste, dass sie entweder ihre Farben ändern oder bis zum nächsten Jahr warten müssen. Und: „Etwa 50% der Platten, die wir jetzt drucken, sind farbig, nicht standardmäßig schwarz“. ***

Ein weiteres Problem, das vor allem kleinere Plattenlabels oder einzelne Künstler/Bands zu spüren bekamen, ist die Kontingentierung bzw. Reservierung von Presskapazitäten. Großkonzerne, aber auch Firmen mit langjährigen Kontakten haben bei den Presswerken feste Kapazitäten gebucht, d.h. für sie werden Pressmaschinen freigehalten. Wobei die Vorausplanung ein längst größeres Problem darstellt. Will eine Plattenfirma sicherstellen, dass ein neuer Titel zeitgleich als LP und CD erscheint, muss das mit dem Presswerk acht bis neun Monate abgestimmt werden. Das bekam in den USA sogar ein Star wie Ed Sheeran zu spüren, als während seinem neuen Album "=" die Presswerke zeitgleich mit den 500.000 Exemplaren für Adele und sicher auch ähnliche große Mengen für Abba, Taylor Swift, Coldplay oder Elton John beschäftigt waren.

Dann gibt es mittlerweile so gar Mengenzuteilungen. Dazu Carrie Colliton, Mitbegründerin des Record Store Day: „Früher wurden nur die limitierten RSD-Titel zugeteilt“ - das heißt, sie wurden in kleinen Mengen ausgeliefert, die nicht annähernd die Bestellungen des Einzelhandels erfüllten - „aber jetzt gibt es fast jede Woche Zuteilungen für jeden Titel - jede Neuerscheinung und jede Neuauflage des Katalogs“. (Anmerkung: ob das auch für Deutschland so gilt, lasse ich an dieser Stelle offen).

Das deutsche Presswerk MY45 erwähnt neben der Wartezeit bei 140g-LPs zwischen 12 und 20 Wochen und bei 180g-LPs zwischen 20 und 32 Wochen auch noch einen Aspekt - Helge Sudau, Chef der Firma: „Es kommt aber auch immer stark auf die Drucksachen an. Oft könnten wir die Platten schneller fertig stellen, die Druckereien für Hüllen, Cover und Sonderdrucksachen haben aber teilweise noch längere Produktionszeiten als wir.

 

Mehr Presswerke - die Lösung?

WarmTone Vinyl PressmaschineWarmTone Pressmaschine

Mike Quinn, Vertriebschef von ATO Records (USA) meinte: „Sie könnten morgen ein Werk eröffnen und würden wahrscheinlich nächste Woche einen Anruf von Universal erhalten, die versuchen, die Kapazitäten für die nächsten paar Monate zu blockieren“.

Doch um ein neues Werk überhaupt auf die Beine zu stellen, sind nicht nur große Kapitalanstrengungen nötig, sondern viel mehr: der Maschinen-Park für gebrauchte Pressen dürfte weltweit leergefegt sein. Neue Pressmaschinen gibt es zwar, das sind aber meist nur Halbautomaten (Newbilt), die noch viel Handarbeit benötigen. Zum Glück aber auch echte Vollautomaten wie The WarmTone (Viryl Technologies). Ein weiterer Punkt: das Know-how. Fachkräfte, die sich mit Vinylpressen wirklich auskennen, sind längst absolut rar. Und eine noch sehr vakante Sache ist der gesicherte Nachschub an Lackfolien. Nach dem Brand bei Apollo Masters 2020 hat sich die Lage ziemlich zugespitzt.

 

Fazit

Wie man es auch betrachtet, trotz des Für und Wider in Sachen Vinylboom bleibt festzuhalten, dass es doch schön ist, wie sehr Schallplatten wieder als normal gelten. Dass auch junge Menschen die Muse finden, sich in Ruhe eine LP anzuhören und nicht rastlos bei Spotify & Co. durch die Tracks zappen.
Die anhaltend hohe und stetig weiter steigende Nachfrage wird früher oder später bei den Firmen zu lohnenden Investitionen in die Zukunft führen, das Angebot an Fertigungsstätten erweitern und letztendlich für alle Beteiligten eine normale Situation sorgen. Dann können auch einzelne Künstler und Bands, die ihr nächstes Album in einer kleineren Auflage pressen lassen möchten, wieder kurzfristig und zu besseren Konditionen den Musikmarkt mit einer neuen LP bereichern.

 

*Quelle: MRC
**Quelle: BVMI
***Quelle: Variety

 

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