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31
Jul 2014
- Kategorie: Fan-Blog
- Geschrieben von Manfred Krug
Wie entsteht eine Lackfolie? Besuch bei SST Brüggemann
Wie eine Schallplatte hergestellt wird, wissen eigentlich recht viele Vinyl-Fans. Doch wie entsteht eine Lackfolie, die man zur Produktion benötigt? Wir hatten die Gelegenheit, bei Schallplatten Schneid Technik Brüggemann - kurz SST Brüggemann - den kompletten Ablauf zur Herstellung eines Folienschnitt beizuwohnen und viele, teils sehr überraschende Informationen zu bekommen. Der Bericht zu diesem Besuch enthält neben einer Einführung die wesentlichen 6 Schritte und im Anschluss ein kurzes Interview mit Daniel Krieger, der seit 2011 die Firma leitet.
Ein Schneidestudio für Vinyl Schallplatten erleben
Es war wie eine Zeitreise. An den Wänden hingen neue und alte Schallplatten (in den Cover, also die gesamte LP), jede Menge Utensilien machten die Räume zu einem lebendigem Ganzen, das mehr den Flair einer 70er Jahre Wohnung versprüht, als den eines kühlen und sachlichen Studios, was man vielleicht erwartet hätte. Und schließlich stand da ein ganzer Fuhrpark an Gerätschaften, die meisten davon einige Jahrzehnte alt. Im Kontrast dazu gab es natürlich (was für die Arbeit bei SST essentiell ist) auch ganz zeitgemäße Computer. Doch das Wichtigste in diesem Haus waren die beiden Neumann Schneidemaschinen, eine davon war sogar die Letzte von Georg Neumann gefertigte Anlage!
Was haben wir erwartet? Nun, sicherlich nicht einen so netten und freundschaftlichen Empfang der beiden Männer, die sichtlich noch in ihrer Arbeit vertieft waren und uns doch sofort in das Geschehen eintauchen ließen. Wir waren begeistert und sind es jetzt noch. Marc und ich waren im Positiven erschlagen von dem, was wir in den nächsten Stunden erleben konnten. Nämlich die Aufgabe von SST verstehen zu lernen:
Aus „Musik Rillen machen"
Zunächst einmal eine kurze Info, was eigentlich eine Lackfolie ist, beziehungsweise was nun ein Folienschnitt bedeutet. Eigentlich ist der Begriff der Folie falsch, hat sich aber etabliert und wurde so zum Fachbegriff. Denn eigentlich ist es eine dünne Scheibe, die einen Aluminium-Kern enthält, welcher mit einem Nitrozellulose-Lack beschichtet ist. Auf die schwarze, völlig plane Platte wird nun mit Hilfe des Schneidestichels, der aus Rubin oder einem Saphir besteht, die eigentliche Rille geschnitten. Diese fertig geschnittene „Lackfolie" könnte eigentlich bereits wie eine normale Schallplatte abgespielt werden, ist aber in Wahrheit der erste Schritt eines langen Fertigungs-Prozesses, der dann im Presswerk stattfindet. Das heißt also, ist je LP-Seite eine Folie geschnitten, werden diese (bei einer Einzel-LP sind es also 2 Folien, bei einer Doppel-LP 4 Folien usw.) von SST zum jeweiligen Presswerk geschickt, wo sie dann weiterverarbeitet werden.
Bevor aber eine solche Folie entsteht, braucht man natürlich erst einmal das Allerwichtigste: die Musik! Und schon kommt die erste dicke Überraschung. Liebe Analogfreunde, bitte jetzt tapfer sein und nicht traurig alle neuen Schallplatten verdammen: der allergrößte Teil der angelieferten Master sind digitale Medien! Nur wenige Auftraggeber senden analoge Bänder, die bei SST freilich ebenfalls bearbeitet werden. Wer also in den letzten 20 Jahren regelmäßig LPs kauft und sich über manche fantastisch klingende Aufnahme freut, dabei die Analogproduktion über alles lobt und jeder CD vorzieht, sollte nun also staunen, wenn eben diese Platte durchaus von einem Digitalband stammt.
Der bedeutende Unterschied - auch das durften wir bei SST erkennen - ist der, dass die Qualität der gesamten Produktionskette (von der Aufnahme über das Mastering und dem Folienschnitt bis hin zur Pressung) ganz entscheidend ist. Stimmt hier alles, dann klingt auch die fertige LP hervorragend - egal, ob rein analog hergestellt (AAA) oder mit einem digitalen Schritt im Vorfeld (DDA, ADA oder DAA).
Nun Schritt für Schritt
1. Musikmaterial Masterband prüfen
Zunächst wird das Musikmaterial gesichtet, geprüft und die Vorarbeiten gemacht. Dabei werden Songanzahl bzw. die Spieldauer pro Plattenseite festgelegt (meist vom Auftraggeber bereits vorgegeben), die Pegel der Musik gesichtet und entsprechend der Vorschub kalibriert, die Intensität der Höhen geprüft (S-Laute werden da nicht so gerne gehört!) und viele andere Parameter festgelegt.
2. Vorschnitt prüfen
Die jungfräuliche Lackfolie liegt nun bereits auf dem Teller der Neumann Schneidemaschine. Herr Krieger startete den sogenannten Vorschnitt: mit Hilfe eines Mikroskop wird der saubere Schnitt des Stichels, die richtige Temperatur und das Material der Folie kontrolliert.
3. Folienschnitt
Jetzt gehts los! Der Magier über all die vielen Tasten, Displays, Pegelanzeigen und Stellrädchen drückt auf den Knopf und schon startet der Schneidekopf mit seiner Arbeit, fräst nun die Rille in das Folienmaterial und zaubert daraus den für uns so fantastischen Klang einer Schallplatte! Diesen darf man bereits auch schon live hören, denn während des Schnittes wird, wie in einem herkömmlichen Tonabnehmer ein Signal moduliert und via Verstärker an die Abhör-Monitore übertragen (für die Spezialisten unter euch: verwendeten werden hier solche von Klein & Hummel sowie von Manger). Leute, seid sicher: das hat etwas magisches und fasziniert unglaublich!
Zwischen den Songs wird manuell noch eine Kennrille eingefügt, hierbei verändert sich einfach nur der Vorschub des Schneidestichels, um optisch auf der späteren LP den Anfang der nächsten Nummer besser erkennen zu können.
4. Auslaufrille
Nach dem letzten Stück wird noch der Vorschub für die Auslaufrille aktiviert, an dessen Ende der Schneidekopf automatisch abhebt und zurückfährt - fertig! Nein, nicht ganz:
5. Optische Endkontrolle
Wieder wird mit dem Mikroskop stichpunktartig kontrolliert, ob die Rille sauber ausgeprägt ist, keine Ausreißer hat, die Breite wie auch der Abstand zueinander stimmt.
6. Gravur
Zu guter Letzt kommt noch per Hand die Gravur der Seriennummer und die Kennung (SST plus Namenskürzel) in Bereich der Auslaufrille auf die Folie. Das wars, jetzt kann die Folie zum Presswerk auf die Reise gehen!
Nun noch ein kleines Interview mit Daniel Krieger:
Wie viele Produktionen (Folienschnitte) machen Sie denn so pro Tag:
DK: Wir fertigen derzeit so etwa 8-10 Aufträge, womit wir schon am Limit angelangt sind und eigentlich auch mit 5 zufrieden wären (Anm.: die Auftragslage bei SST ist wohl weit besser als es für das familiäre Wohl gut wäre, aber man hat am Wochenende eh nichts besseres zu tun...)
Wie lange hält denn so ein Schneidestichel, was kostet er und wie steht es mit den Nachschub?
DK: So rund 100 Stunden Standzeit. Der Nachschub ist zum Glück gar kein Problem, der Preis liegt bei etwa 100 EUR.
Muss man sich Sorgen machen, wenn es um Ersatzteile für die gesamte Maschine geht?
DK: Eigentlich nein. Die meisten Teile können ohne große Probleme ausgetauscht und ggf. nachgebaut werden. Einzig der komplette Schneidekopf ist kritisch, von dem gibt es nicht mehr sehr viele weltweit und neue werden derzeit nicht gebaut. Aber selbst das ist eine wirtschaftliche Frage. Wenn die hohe Nachfrage zu Vinyl anhält, könnte sich auch der Nachbau wieder lohnen.
Wie viele andere Schneidestudios gibt es in Deutschland eigentlich?
DK: Man darf von 6-8 Studios sprechen. Manche Presswerke haben ihre eigene Schneide-Produktion, andere dagegen geben die Aufträge dazu ausser Haus und dann eben zu Firmen wie uns.
Wer sind Ihre Auftraggeber?
DK: Wie gesagt, idR. die Presswerke. Heute läuft das besonders bei den großen Plattenfirmen so, dass die mit der Vinyl-Ausgabe eines Albums betreute Abteilung den Auftrag an Dienstleister oder auch direkt an die Presswerke für die Produktion der Schallplatte erteilen und die kommen mit dem Folienschnitt dann zu uns.
Müssen Sie die Masterbänder noch einmal überarbeiten, um sie zu verwenden?
DK: Normalerweise nicht. Das Musiksignal wird unverfälscht übertragen. Nur dann, wenn sich Probleme bei Pegel oder sonstige Fehler zeigen, dann korrigieren wir etwas.
Wird das Kürzel SST bei jeder Folie eingraviert?
DK: Ja, das gehört dazu wie mein DK und MW für Martin Wegner, unserem zweiten Techniker.
Was hören Sie selbst am liebsten?
DK: Bebop, Jazz und alles was improvisiert Musik anbelangt.
Vielen Dank für das nette Gespräch!
Zum Abschluss noch einmal vielen herzlichen Dank an die Beiden, dass sie uns ihre Zeit und viele wertvolle Informationen geschenkt haben. Was mich an diesem Besuch ganz besonders fasziniert hat, war die lässige Sicherheit und Routine, mit der Daniel Krieger gearbeitet hat, während er sich mit uns unterhalten hat und alles erklärte!
Ich dachte im Vorfeld, da müssen wir während der eigentlichen Schneidearbeit still zusehen, um den Mann nicht in der Konzentration zu stören - aber ganz lässig ging das alles in Einem von der Hand. Und genau das lässt mir die Sicherheit und die Schlussfolgerung erkennen, dass eine bei SST geschnittene Folie mehr als solides Handwerk ist - das ist ein wichtiger Schritt für eine wunderbar klingende Schallplatte. Und ich freue mich künftig auf jede LP mit dem Kürzel SST in der Auslaufrille!
Eine kleine Anekdote noch:
Mitte der 80er, als der LP ein schnelles Aus apostrophiert wurde, sorgte die Dance-Szene und die DJs mit den Maxi-Singles dafür, dass die Vinyl-Produktion überleben konnte. Heute jedoch, wo die LP boomt, haben die Maxis (so zumindest bei SST und vielen anderen Studios) nur noch einen ganz geringen Anteil, ebenso wie die Dance- oder auch Clubmusik kaum noch vertreten ist. An ihre Stelle ist eine breite Mischung aller möglichen Genres getreten, die Vielfalt blüht wieder auf!
Weitere Informationen findest du bei SST, zum Beispiel zu Fachbegriffen oder allgemein zur Firma inklusive einem kleinen Video.
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