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Anne Mette Iversen vor weißem Hintergrund

Anne Mette Iversen - eine Jazz-Bassistin, die man gehört haben muss | Foto: Solvejg Hockings

Kann Jazz fröhlich und ernsthaft zugleich sein? Kann er leicht und beschwingt klingen, dennoch eine wahrhaftige künstlerische Tiefe ausstrahlen? Diese und einige andere Antworten gibt die dänische Bassistin Anne Mette Iversen mit ihrer neuen Schallplatte „Racing A Butterfly“, die mit einigen Top-Qualitäten aufwartet. Die Review.

 

Anne Mette Iversen Quartet +1 - Racing A Butterfly (LP, Vinyl)

Anne Mette Iversen Quartet Racing A Butterfly Vinyl

Racing A Butterfly“ ist die erste von 70 Schallplatten, die bei dem New Yorker Plattenlabel Bju Records veröffentlicht werden. Warum fiel die Wahl auf das Anne Mette Iversen Quartet +1? Die Antwort ergibt sich, wenn man sich mit dieser LP beschäftigt und sie eben auch hört. Denn hier zeigt sich auf vielfältige Weise, wie sich musikalische und künstlerische Qualitäten mit einer tadellosen Fertigung der Vinyl (bei Record Industry, hier werden auch die ECM-LPs gepresst) und einem hervorragenden Klang vereinen. Und dann kommt da auch noch ein Schmetterling ins Spiel…

 

 

Ein Schmetterling, der das Rennen und die Schallplatte dominiert.

Anne Mette Iversen StudioZunächst noch einmal zur Bandleaderin Anne Mette Iversen: sie ist 1972 in Århus, Dänemark geboren. Eigentlich studierte Iversen zunächst klassisches Klavier, fand dann aber Gefallen am Bass und wurde von Bo Stief und Niels Henning Ørsted Pedersen am Rytmisk Musikkonservatorium in Kopenhagen unterrichtet.
1998 zog sie nach New York City, absolvierte dort den Bachelor of Fine Arts in Jazz-Performance von The New School. Iversen arbeitete mit verschiedenen Gruppen der Musiker-Kooperative Brooklyn Jazz Underground. Sie gründete das Anne Mette Iversen Quartet mit Saxofonist John Ellis, Pianist Danny Grissett und Schlagzeuger Otis Brown III. Später kam Posaunist Peter Dahlgren dazu, so entstand das aktuelle Quintett mit dem Namen Anne Mette Iversen Quartet +1. So viel zum Hintergrund einer Musikerin, die mit einer solchen Ausbildung die Grundlage hat, Musik auf ihre eigene Weise zu interpretieren. Und das tat sie!

Um zu verstehen, wie diese Bassistin über den nahezu philosophische Gedanken der Musik eine besondere Bedeutung gibt, hier ihre Info dazu:

„Der Titeltrack dieses Albums wurde durch ein buchstäbliches Rennen mit einem Schmetterling inspiriert, das ich während eines Laufs an einem Sommermorgen in der Provence, Frankreich, hatte. Als ich auf einer unbefestigten Straße entlang der Lavendelfelder lief, während die Temperatur schnell stieg, kam ein farbenfroher Schmetterling aus den wilden Blumen, die am Straßenrand wachsen. Offenbar hatte er beschlossen, mir Gesellschaft zu leisten. Wir blieben einen Moment lang Seite an Seite, und dann begann er zu spielen. Er flog vorwärts, ließ sich zurückfallen, holte mich wieder ein, drehte sich im Kreis, drehte sich in einer Art Tanz. Das ging überraschend lange so weiter, bis der Schmetterling schließlich abhob. Es war der Spaß, die Freude, die Verspieltheit und die Leichtigkeit, die so schön war. Dies zeigte mir die Natur so natürlich, was mir das Gefühl gab, dass ich diese Seiten des Lebens wirklich mehr feiern sollte, als ich es bisher in meiner Musik getan habe. Also machte ich mich daran, neue Musik zu schreiben, die diese Erfahrung widerspiegelt und in ihrer Gesamthaltung nach Leichtigkeit und Verspieltheit strebt, und das wurde die Inspiration für Racing a Butterfly".

Peter DahlgrenUnd tatsächlich, hört sich diese Platte so an. Man ist schlicht fasziniert davon, wie leicht und unbeschwert sie einerseits wirkt und wird anderseits von einer unglaublichen Tiefe und emotionalen Dichte beeindruckt. Zweifellos ist dies zeitgenössischer, moderner Jazz, der seine Wurzeln der Vergangenheit nicht leugnet. Die Posaune und das Saxofon kreuzen vergnügt ihre Melodielinien in der ersten Nummer „Racing A Butterfly“, dem Titelstück. Mal laufen die Linien konträr, dann wieder im harmonischen Gleichklang - das Ganze wirkt sowohl verspielt als auch mal lyrisch und dann wieder fast schon progressiv. Erstaunlich, wie sehr es den Protagonisten gelingt, den Hörer in den Bann zu ziehen. Vermutlich ist dies auch das Ergebnis der langen Zusammenarbeit dieser Musiker, das entstandene Vertrauen und Verständnis zueinander mit einem lebendigen und von Emotionen getragenen Klangbild auszudrücken.

Eine weitere Anekdote über den Hintergrund zu diesem Album ist ein Auszug eines Günter Grass-Gedichtes („Tour de France“, Aus dem Gedichtband „Ausgefragt“, 1967):

Als die Spitzengruppe von einem Zitronenfalter überholt wurde, gaben viele Radfahrer das Rennen auf.

Dieses Gedicht veranlasste Iversen zu einem Gedankengang über Rennen mit dem Schmetterling:

"Ich stellte mir vor, wie die Spitzengruppe am letzten Tag der Tour de France die Champs-Élysées hinauffährt und dabei zusieht, wie ein Fahrer nach dem anderen aussteigt, demoralisiert durch den Schmetterling, der sie überholt. Aber vielleicht sind die Fahrer überhaupt nicht demoralisiert. Vielleicht haben sie alle die Erkenntnis, dass es wichtigere Dinge im Leben gibt als ein Rennen auf den Champs-Élysées. Oder vielleicht werden sie sich plötzlich der Begrenztheit des menschlichen Lebens bewusst, der Unbeständigkeit des Lebens ... oder vielleicht sind sie einfach von dem Wunder der Natur betroffen, wie es sich in einem Schmetterling manifestiert, der das letzte Rennen der Tour de France gewinnt! In dem Kontrast, der sich zwischen der Natur und der komischen Figur des Menschen ergibt, der auf dem Fahrrad die asphaltierte Straße entlang beschleunigt. Nachdem er sein ganzes Leben lang für dieses Rennen trainiert hat, beginnt er sich nun zu verbinden und Perspektiven unserer menschlichen Existenz auf einer tieferen Ebene zu erkenne. Nun, wie auch immer Sie über dieses Gedicht denken mögen, ich denke, es bietet uns ein brillantes Beispiel dafür, wie man an grundlegende und wichtige Fragen mit Leichtigkeit, Verspieltheit und Humor herangehen kann". 

Hier wird uns deutlich, dass Fantasie, Philosophie, Kunst und Können ineinanderfließen. Kein Wunder also, dass Bju Records diese LP als Start ihrer Vinyl-Reihe ausgewählt haben. Top-Empfehlung!

 

 

Fakten

Erstveröffentlichung: 5. Juni 2020
Label: Bju Records
Bestell-Nummer: BJUR 070
Pressung: Record Industry, Niederlande
Pressqualität*: 4
Inhalt: 140g Vinyl
Besonderheit:
Aufnahmen: 5. & 6. November 2018 bei The Village Recording in Kopenhagen, Dänemark
Mastering: Dave Darlington bei Bass Hit Studio in New York City, USA

 

Besetzung

Anne Mette Iversen - bass & compositions
John Ellis - tenor & soprano saxophone
Peter Dahlgren - trombone
Danny Grissett - piano
Otis Brown III - drums

 

Trackliste

Seite 1

1. Racing A Butterfly
2. Cluster
3. Butterflies Too

Seite 2

1. Triangular Waves
2. Parallel Flying Part 1
3. Parallel Flying Part 2

 

* Pressqualität 1-5:
1= starke Nebengeräusche, deutlich sichtbare Pressfehler
5= keinerlei Nebengeräusche, optisch perfekt

 

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