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Lianne Hall bei den Aufnahmen im LowSwing Studio

Popmusik - zu gut für die Charts - ist für wahre Vinyl-Fans das Ziel der immerwährenden Suche. Insbesondere dann, wenn sie auch noch erfahren, dass die Aufnahme und gesamte Produktion rein analog stattgefunden hat. So erwartet denjenigen, der noch zuhören kann, ein wunderbares Album der britischen Sängerin Lianne Hall - „The Caretaker" ist eines der Sommer-Highlights auf Schallplatte!

 

Lianne Hall - The Caretaker (LP, Vinyl)

Ist es nicht so? Die Charts-Ware langweilt und viele der Reissues, die heute für den immer weiter wachsenden Vinyl-Markt erscheinen, hat man schon als ältere Pressung im Plattenschrank stehen. Der Blick geht also auf neue, interessante Veröffentlichungen, die etwas abseits des allzu eingängigen liegen. „The Caretaker" ist eine solche LP und die Stimme von Lianne Hall eine der „großen englischen Stimmen" (John Peel ist bereits ein Fan von ihr).

 

„The Caretaker" - ein feines Semi-Akustik-Album

Lianne Hall-Caretaker VinylVorweg: diese Schallplatte hat ein großes Manko: sie ist leider nur knapp 34 Minuten lang! Von einer Musik wie dieser könnte ich gut auch das Doppelte anhören, ohne mich auch nur einen kurzen Moment zu langweilen. Obwohl der Großteil der zehn Songs eher zurückhaltend, moderat arrangiert und auch instrumentiert wurde, klingt alles raffiniert und spannend inszeniert.
Bereits die erste Nummer „Always Late To The Party" kommt mit dominanter Perkussion-Arbeit, die trotzdem in einer unkomplizierten Melodie eingebettet ist. Der Flow ist langsam und doch fast schon hypnotisch, der Gesang perfekt aufgesetzt. Die Stimme der Wahl-Berlinerin und gebürtigen Engländerin Lianne Hall hat erstaunlich viele Schattierungen: von dunkel timbriert über sanfte Töne hin zu Tonlagensprüngen, wie man sie z.B. von Sinead O'Connor kennt. Schon in diesen ersten paar Minuten dieser Schallplatte wird deutlich, dass man es hier mit einer Musikerin zu tun hat, die alles andere als gewöhnlich ist.

Die Instrumente werden unkonventionell eingesetzt, was die Kompositionen abwechslungsreich gestaltet. Dazu gehören nicht nur die Akustischen, sondern insbesondere auch die Elektrischen, wie etwa der Modular Synthesizer, den Produzent Guy Sternberg raffiniert bedient. Bei „The Summer Of 100 Pulls" hingegen wird es exemplarisch, wie exzellent diese Schallplatte klingt. In diesem Stück spielt Lianne solo an der Akustikgitarre, die hart gespannten Saiten kommen so brutal realistisch rüber, dass es scheint, die Musikerin sitzt einem drei Meter gegenüber!

Die Lieder haben einen mitunter folkigen Touch, „Mess Of Love" etwa könnte gut eine alte Tanz-Weise zur Grundlage haben. Andere Nummern hingegen zeichnen sich durch eine leicht avantgardistische Prägung aus; so z.B. die letzte, elegische Nummer „The Ocean Is Broken", die von Synthesizer und elektrischem Piano dominiert wird. Melancholie und Sinnlichkeit, bedächtige Melodien und spannende Wendungen in den Arrangements - Lianne Hall hat sich mit dieser LP sowohl als Sängerin als auch als Songwriterin ausgezeichnet.

The Caretaker" ist ihr offiziell drittes Album, daneben gibt es noch ein inoffizielles („Trouble", 2001) und eines in Cooperation mit D_rradio („Making Spaces", 2010) sowie Aufnahmen für John Peel. Die LP wurde in nur fünf Tagen eingespielt, wofür ausschließlich analoges Equipment verwendet wurde. Man hört es sehr gut heraus, dass hier kein Computer den feinen Klang manipuliert hat, es wirkt rund und trotz Wärme extrem präzise und detailreich. Die Lackfolie hat Rainer Maillard in den Emil Berliner Studios in Berlin angefertigt, die Pressung mit Normalgewicht (!) stammt aus Röbel von optimal media. Und von mir kommt die dicke Empfehlung für eine LP, die als eine besondere Entdeckung im Jahr 2017 gelten darf.

 

Fakten

Erstveröffentlichung: 10. März 2017
Label: LowSwing Records
Bestell-Nummer: LOSW001
Pressung: optimal media
Inhalt: 140g Vinyl, Textbeilage
Besonderheit: rein analog produziert

 

Besetzung

Lianne Hall - acoustic & electric guitar, electric piano, lead vocals
Alex Paulick - electric guitar, bass guitar, piano, organ, producer
Felix Müller - electric guitar, piano, kalimba
Guy Sternberg - modular synthesizer, producer
Sebastian Vogel - frame drum, snare, shaker, xylophone
Nolan Churn - shaker, snare, bass drum

Aufnahme Sommer 2015 im LowSwing Studio in Berlin

 

Trackliste

Seite 1

1. Always Late To The Party
2. The Crow's Nest
3. Monsoon
4. Amp On Fire
5. The Summer Of 100 Pulls

Seite 2

6. Mess Of Love
7. The Last Song Of The Caretaker
8. No Medicine
9. SlowLate
10. The Ocean Is Broken

 

Das Teaser-Video zu „The Caretaker"