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16
Okt 2023
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- Geschrieben von Manfred Krug
Review: Keith Jarrett - Bremen / Lausanne (Vinyl 2023)
Bevor er mit dem legendären Köln Concert die Musikwelt verblüffte und begeisterte, spielte der junge Pianist Keith Jarrett im Jahre 1973 zwei Solokonzerte in Bremen und Lausanne ein. Beide Auftritte wurden von den jeweiligen Rundfunkanstalten mitgeschnitten und erschienen noch im gleichen Jahr bei ECM Records. Nun, 50 Jahre später dürfen sich Vinyl-Fans auf eine Wiederveröffentlichung im Rahmen der ECM Luminessence-Reihe freuen, denn die Qualität ist auf allerhöchsten Niveau!
Keith Jarrett - Solo-Concerts Bremen / Lausanne (3 LP, 180g Vinyl, Luminessence Serie)
Würde man sich bei der Umschreibung dieser Musik damit begnügen, sie als Meisterwerk des improvisierten Jazzmusik zu bezeichnen, wäre es zu einfach. Doch „Bremen / Lausanne“ ist weit mehr, wohl auch, um dem Genie dieses so großartigen Musiker Keith Jarrett gerecht zu werden. So möchte ich hier versuchen, das Gehörte so zu beschreiben, dass es einen Eindruck von den so faszinierenden drei Schallplatten dieses Vinyl-Sets vermitteln kann.
Das Bremen-Konzert
Das Dreifach-Vinyl beginnt mit dem Bremen-Konzert. Der Beginn ist ruhig und melodisch. Das Publikum ahnt an dieser Stelle nichts davon, dass Keith Jarrett den Auftritt fast absagen musste - Rückenschmerzen plagten ihn die Nacht davor, Schlaf war nicht möglich. Angesichts dessen, was die Zuhörer erlebten, schien der Pianist aus der Not eine Tugend gemacht zu machen. Er wandelte all seine Energie in etwas um, was man bis dato so kaum zu hören bekam.
Jarretts Talent war schon seit langem bekannt und das nicht erst seit seiner Zeit bei Miles Davis. Dass er es jedoch verstand, als Solist ohne jegliche Rhythmusgruppe oder sonstige Mitspieler seine Zuhörer derart in den Bann zu ziehen, war auch oder besonders in der Jazzwelt nahezu einzigartig. Von romantischer Melodik über spannungsgeladene Improvisationen hin zum launig-fröhlichen Boogie - die Welt der klassischen Musik vereint mit dem Jazz und folkloristischen Bezügen - all das floss an einem solchen Abend wie dem im Bremer Sendesaal wie selbstverständlich ineinander. Jarrett spielte einfach aus sich heraus, liess seiner eigenen Fantasie freien Lauf, keine Muster, keine Vorlagen, keine Noten.
Kein Wunder, dass das Publikum am Ende solcher derart präsentierten Stücke, die jeweils zwischen 18 und gar über 26 Minuten dauerten, noch Sekunden still und sprachlos da saßen und erst dann mit brausenden Applaus dem Erlebten ihren Tribut zollten.
Das Lausanne-Konzert
Warum hat ECM das spätere Bremen-Konzert vom Juli 1973 auf die Seiten 1 bis 3 vorgezogen und erst ab Seite 4 mit dem Auftritt im Schweizerischen Lausanne im März 73 fortgesetzt? Nun, ich denke, dass dies „taktische“ Gründe hatte. Manfred Eicher, Musikproduzent und Mitbegründer von ECM Records, dürfte vielleicht im Blick gehabt haben, dass Bremen zugänglicher ist als die Darbietung von Lausanne. Die Improvisationen wirken hier abstrakter, zuweilen wilder und weniger melodisch als in Bremen, ohne dabei jedoch im Geringsten an Spannung zu missen. Im Gegenteil: hinter jeder gespielten Note verbergen sich so reizvolle Wendungen, auf die der Zuhörer mit Begierde wartet. Jarrett spielte ständig Wiederholungen und baute dabei subtile Variationen auf, aus denen dann immer neue Phrasen entstanden und so das Spiel aufregend gestaltete.
Und wenn einem bei diesen Event ungewöhnliche Töne auffallen, die sonst eher nicht bei Jarretts Musik üblich waren, so lag es vermutlich daran, dass er sein Piano recht „alternativ“ spielte: er zupfte dabei an den Saiten, während er deren zugehörigen Tasten bediente. Insbesondere Part IIa ist in dieser Hinsicht höchst interessant und so gänzlich anders als die Musik in Bremen. Schon deshalb ist Lausanne die perfekte Ergänzung, um das Genie eines Keith Jarrett zu erfassen.
Fazit
Keith Jarrett forderte bei diesen beiden Konzerte die Zuhörer und gewann sie zugleich für sich. Sie erduldeten seine überlangen Improvisationen, die länger als alles dauerten, das sie so gewohnt waren. Und doch waren es keine Sekunden zu viel, die Faszination und das Eintauchen in eine geniale Musik bannte alle, die damals dabei waren.
Heute gelingt es mit diesen Schallplatten in ähnlichem Maße, denn die Klangqualität vermittelt die Live-Atmosphäre mindestens in musikalischer Hinsicht. Doch das Gefühl, mitten im Konzertsaal zu sitzen und dabei zu sein, rückt angesichts dieser fantastischen Musik beinahe in den Hintergrund. Nicht ohne Grund wurde diese Tripel-LP bei Erstveröffentlichung weltweit mit Preisen überhäuft - dieses Lob hallt auch ein halbes Jahrhundert später nach!
Fakten
Veröffentlichung Reissue 27. Oktober 2023
Erstveröffentlichung: 1973
Label: ECM Records
Bestell-Nummer: ECM 1035-37
Pressung: Record Industry
Pressqualität*: 4
Inhalt: 3x180g Vinyl, 12-seitiges Booklet
Besonderheit: Stülpbox
Aufnahmen: Live 20. März 1973, Salle des Spectacles Epalinges in Lausanne und 12. Juli 1973 im kleinen Sendesaal von Radio Bremen in Bremen
Besetzung
Keith Jarrett - Piano
Trackliste
Seite 1
1. Bremen, July 12, 1973, Part I - 18:05
Seite 2
2. Bremen, July 12, 1973, Part IIa - 19:40
Seite 3
3. Bremen, July 12, 1973, Part IIb - 26:15
Seite 4
4. Lausanne, March 20, 1973, Part Ia - 22:50
Seite 5
5. Lausanne, March 20, 1973, Part Ib - 7:20
6. Lausanne, March 20, 1973, Part IIa - 12:34
Seite 6
7. Lausanne, March 20, 1973, Part IIb - 22:35
* Pressqualität 1-5:
1= starke Nebengeräusche, deutlich sichtbare Pressfehler
5= keinerlei Nebengeräusche, optisch perfekt
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