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05
Dez 2023
- Kategorie: Fan-Blog
- Geschrieben von Manfred Krug
In Zukunft ohne Vinyl?
Die Zutaten für die Vinyl Schallplatte werden nicht ewig zur Verfügung stehen, der notwendig Rohstoff Erdöl ist endlich. Es gibt einen Weg aus diesem Dilemma, doch der heißt nicht Vinyl. Müssen wir uns nun Sorgen machen um die Zunkunft unserer geliebten Schallplatten und muss ich den Namen meines Blog dann umbenennen? Diese und noch ein paar mehr Fragen soll dieser Bericht beantworten.
Neue Rohstoffe für die Schallplatte - weg vom Erdöl
Nicht erst seit den jährlichen UN-Klimakonferenzen wird weltweit darum gerungen, welche Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgase machbar sind und dann auch eingehalten werden sollen. Von den ganz großen bis zu den kleinsten Schritten sind wir alle noch weit entfernt, der eine mehr, der andere weniger. Auch wir Vinyl-Fans verdrängen gerne, dass die Produktion einer Schallplatte alles andere als ökologisch ist. Sollen wir sie demnach verbannen, keine neue LPs mehr kaufen? Nun, es könnte anders kommen.
Eines darf man konstatieren: die Schallplatte gehört zu den nachhaltigsten Tonträgern überhaupt. Sie ist langlebiger als nahezu alle anderen und sie landet wohl eher selten auf dem Müll. Eher füllt sie den Gebrauchtmarkt, oft in mehreren Stationen und Generationen. Auch beim Streaming von Musik wird oft übersehen, welch ein Energieverbrauch hierzu nötig ist.
Zurück zur Schallplatte. Bislang wurde als einer der Rohstoffe Erdöl benötigt, um zum konventionellen PVC zu kommen, das für die Herstellung der Vinylschallplatte nötig ist. Schon länger gibt es Experimente mit diversen anderen Rezepturen und Materialien, so gut wie keines davon hat wirklich befriedigende und dauerhafte Ergebnisse gebracht. Trotzdem wird aktuell an verschiedenen Orten daran gearbeitet und bei einer Firma gibt es nun nicht nur ein gutes fertiges Produkt mit alternativen Materialien, sondern auch noch einen ganz wichtigen weiteren Schritt:
BioVinyl von optimal media
©optimal media
Der große Unterschied zu anderen Firmen, die ebenfalls mit bio-basierten Materialien experimentieren und teils auch schon produzieren, ist die ISCC Plus (International Sustainability & Carbon Certification) Zertifizierung. Damit wird die Nachhaltigkeit auf allen Stufen der Liefer- und Produktionsketten bewertet. Es genügt also nicht, bei der Herstellung eines Produktes - in unserem Fall die Schallplatte - nur einen einzelnen Teilaspekt zu betrachten, sondern das Große/Ganze. Dazu gehören übrigens auch die Plattencover, die in diesem Werk aus 100% Recyclingmaterial bestehen. Oder Strom aus erneuerbaren Energiequellen, Rückführung und Nutzung der Abwärme der Pressmaschinen etc.
Hier geht optimal media, das Presswerk in Röbel, einen Schritt voraus. Nach ihren Angaben zufolge sind sie das weltweit erste ISCC Plus-zertifizierte Presswerk. Der wesentliche Schritt, der nun den Weg in die Zukunft der Schallplatte weisen soll, ist das so genannte BioVinyl, das bei optimal nach langen Experimenten eingesetzt wird.
Was ist BioVinyl?
Schaubild ©optimal media
Im oberen Schaubild ist zu sehen, welche grundsätzlichen Bestandteile nötig sind, um eine konventionelle, bisher bekannte Vinylschallplatte herzustellen. Das nun neue BioVinyl hat chemisch identische Komponenten, ersetzt jedoch das Erdöl durch recycelte Materialien wie z.B. recycelte Altspeiseöle oder CO2-Rückgewinnung aus Industrieabgasen. Um Missverständnissen vorzubeugen, der Begriff BioVinyl ist hier bislang nur teilweise richtig, denn wir sprechen hier nicht von bis zu 100% Biomaterial und schon gar nicht von kompostierbaren Schallplatten. Also, hier wird lediglich das chemisch identische S-PVC auf Basis der recycelten Stoffe hergestellt, bei denen eben das Erdöl mit pflanzlichem Öl und etwa auch industriellen Abgasen ersetzt wird. Des Weiteren werden aktuell noch konventionelle Copolymere verwendet, wobei auch hier laut optimal media bereits erfolgreich an biologischen Alternativen gearbeitet wird.
Der Begriff BioVinyl ist demnach nicht ganz richtig, zumal man sich hier - ohne die oben stehenden Fakten zu kennen - wohl eher etwas anderes vorstellt. Da man jedoch einen griffigen Namen benötigt (Alternative wäre vielleicht ÖkoVinyl?), kann man sich vermutlich darauf einigen.
ReVinyl
Das Revinyl habe ich hier im Blog bereits vorgestellt (siehe: ReVinyl). Da es Bestandteil im nachfolgenden Test sein wird, hier kurz die Erläuterung dazu: optimal media verwendet für das ReVinyl recyceltes Vinylgranulat aus eigenem Hause, als PVC, welches bei der LP-Produktion sonst als Abfall angefallen wäre. Dies wird zu Granulat verarbeitet und eben wieder für das ReVinyl verwendet.
Der Hör-Test
optimal media hat mir ein Set an Schallplatten zur Verfügung gestellt, das mir einen Vergleich mit verschieden hergestellten LPs ermöglicht. Das Besondere daran (so etwas gibt es sonst nirgendwo!): hier lagen vier verschiedene LPs mit verschiedenen Materialien vor, die identische Musikbeispiele mit gleich laut geschnittenen Musikpegel haben! Der Vergleich ist daher mit optimalen Bedingungen möglich.
Ich habe die LPs bei gleicher Lautstärke angehört und noch eines zusätzlich getan:
Das Musikbeispiel auf Seite 1 hörte ich mir bei allen vier LPs im nagelneuen und ungewaschenen Zustand der Platten an. Seite 2 dagegen erst nach einer intensiven Reinigung sowohl mit zwei hochwertigen Plattenwaschmaschinen (1x Flächensauger, 1x Ultraschall).
Die vier gelieferten LPs unterscheiden sich wie folgt:
1. Eine Standardpressung mit Virgin Vinyl
2. Eine farbige ReVinyl, gepresst mit 100-prozentigem Recyclingmaterial
3. Eine schwarze ReVinyl, gepresst mit 100-prozentigem Recyclingmaterial
4. Ein BioVinyl, das mit recyceltem Biomaterial gepresst wurde
Virgin Vinyl
Seite 1 (noch nicht gewaschen): sehr geringes Rauschen und Knistern,
Seite 2 (gewaschen): bei höherer Lautstärke kaum wahrnehmbares bzw. bei normaler Lautstärke kein Rauschen oder knistern.
ReVinyl farbig
Seite 1 (noch nicht gewaschen): deutlich höheres Rauschen
Seite 2 (gewaschen): deutliches Rauschen und knistern
ReVinyl schwarz
Seite 1 (noch nicht gewaschen): etwas geringeres Rauschen als bei grün, aber höher als bei Virgin oder Bio.
Seite 2 (gewaschen): leicht rauschen, kaum knistern
Bio Vinyl
Seite 1 (noch nicht gewaschen): sehr geringes Rauschen und Knistern, Bässe kommen etwas weniger intensiv als bei Virgin Vinyl.
Seite 2 (gewaschen): Rauschen und Knistern sehr gering.
Anmerkung hierzu:
Farbiges ReVinyl ist ein Mix aus allen möglichen Farben, auch aus solchen, die für ein etwas höheres Grundgeräusch bekannt sind. Man kann es also nur eingeschränkt mit schwarzem Granulat vergleichen. Auch die Granulate für BioVinyl und Virgin Vinyl stammen nicht von den gleichen Lieferanten.
Nach der Plattenwäsche schwinden die Unterschiede, sowohl beim Rauschverhalten als auch bei klanglichen Aspekten. Das ReVinyl hatte tonal scheinbar eine etwas geringere Auflösung als beide anderen Varianten, es fehlten mir geringfügig die feinsten Spitzen. Eine subjektive Wahrnehmung zwar, aber sie hat sich bei mehrmaligen Auflegen wiederholt. Auch eine sehr intensive Reinigung hat hier keine Besserung gebracht.
Hingegen zeigte das schwarze ReVinyl beim Titel auf der A-Seite, wenn so etwa nach einem Drittel des Stückes intensive Kontrabässe und Bratschen einsetzen, eine wuchtigere und tiefer hinabreichende Abbildung der Instrumente.
Das Bio Vinyl hat von der Reinigung nicht profitiert, das geringe Rauschen bzw. Knistern ist etwa gleich dem Hörvorgang ohne Plattenwäsche. Klanglich hingegen ist es ähnlich wie bei schwarzem ReVinyl im Bassbereich intensiv, im Detailreichtum vergleichbar mit dem Virgin Vinyl.
Unter dem Strich betrachtet, haben Virgin Vinyl und das BioVinyl klanglich und von der Laufruhe betrachtet, die bessere Performance. Dass das BioVinyl nach der Plattenwäsche weniger bis gar nicht profitiert hat wie etwa das Virgin Vinyl, ist zwar interessant, vermutlich aber eher den normalen Eigenheiten bei Vinylschallplatten zuzuschreiben. Denn da es chemisch zum normalen Virgin Vinyl identisch ist, sollte da kein Unterschied bestehen. Die generell von mir gehörten leichten akustischen Differenzen dürften wohl auf die unterschiedlichen Granulate zurückzuführen sein, die laut optimal media auch von verschiedenen Herstellern stammen.
Langzeiterfahrungen werden zeigen, wie sich das BioVinyl etablieren wird und welche Erfahrungen die Vinyl-Fans damit machen. Im übrigen ist das BioVinyl in verschiedenen Farben möglich.
In jedem Fall halte ich das BioVinyl für einen richtigen Schritt in die Zukunft.
Die Alternative
Foto: Sonopress GmbH
Es gibt noch einen anderen Weg, der tatsächlich von der Technik her schon alt ist: das Spritzgussverfahren. Angewandt wurde es unter anderem bei Polygram, dort allerdings nur bei Singles. In den letzten Jahren tauchten immer wieder Berichte auf, dass Firmen auch mit Schallplatten experimentieren. Allen voran ist dazu Green Vinyl Records bekannt, die jedoch kein Vinyl als Grundmaterial, sondern PET verwenden, welches übrigens auch aus fossilen Ressourcen stammt. Laut deren Angaben ist der Energieaufwand erheblich niedriger als bei konventioneller Pressung. Ein konkreter Vergleich für die Energiebilanz in der gesamten Produktions- und Lieferkette dürfte demnach schwierig sein und wurde daher noch nicht präzisiert. Zumal bei allen vorliegenden Infos noch nicht die Rede war, wie die Stamper produziert wurden. Denn auch dieser Prozess ist keineswegs ökologisch. Sobald ich da näheres erfahre, werde ich hier im Blog berichten.
Spannend ist für uns Vinyl-Fans, dass auch in Deutschland (genauer in Gütersloh) eine neue Produktion mit dieser Technik kommen wird. Sonopress hat ein Projekt ins Leben gerufen und steht bereits in den Startlöchern. Mit dem Namen EcoRecords, unter dem Dach von Warner Music, sollen ebenfalls Schallplatten mit dem Spritzgußverfahren produziert werden. Wir dürfen gespannt sein. Sobald hier Muster vorliegen, werde ich davon berichten.
Aber auch dies ist ein weiterer Weg in Richtung Klima-gerechtere Produktionen und damit die Schallplatte für die Zukunft fit zu machen.
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