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eine künstlerisch exzellente Platte auf klanglich hohem Niveau

Ein neues Highlight in meiner Plattensammlung

Man findet sie gebraucht - allerdings selten und dann meist mit einem Preisschildchen, welches den Plattensammler schon mal ins Grübeln bringt. Das verwundert auch nicht, denn wer diese Schallplatte zu schätzen weiß, gibt sie nicht wieder her: „Miles In Berlin". Miles Davis gab mit seinem zweiten großen Quintett ein Konzert an den ersten Berliner Jazztagen - eine musikalische Offenbarung für Jazz-Fans. Hier die Rezension zum 180g-Vinyl-Reissue von Speakers Corner.

 

Miles Davis - Miles In Berlin (LP, Mono 180g Vinyl)

Schon das Plattencover vermittelt etwas Edles, das sich alleine damit von einer Second Hand-Platte unterscheidet: der unbeschädigte und hochglanz-lackierte Karton fühlt sich richtig gut an. Das Fehlen des Charmes einer alten Originalscheibe, dessen Geruch und dem Gefühl, etwas Wertvolles in Händen zu halten - all das wird durch die hochwertige Qualität ausgeglichen, die eine solche Neuauflage vermittelt. Spätestens, wenn man das jungfräuliche 180g-Vinyl auspackt, die makellose Oberfläche bewundert und sich schließlich die Nadel in die Rille absenkt, bemerkt auch hier den Unterschied zu einer gebrauchten LP: kein Knistern und Laufgeräusche, die kaum wahrnehmbar sind. Und dann kommt die Musik...

 

Der Höhepunkt der ersten Berliner Jazztage anno 1964

Miles Davis-Miles In Berlin 180g VinylBei der Original-Aufnahme von „Milestones" (1958) war am Saxofon noch ein gewisser John Coltrane, sechs Jahre später erleben wir einen anderen Tenorsaxofonisten: Wayne Shorter. Das wird sicher nicht der Grund dafür gewesen sein, dass Miles Davis ein wesentlich höheres Tempo gespielt hatte. Vermutlich lag es schlicht an seiner Lust, den Freejazz-Befürwortern eine Alternative zu präsentieren, die sich nicht weniger vital präsentierte und die ein aufmerksam agierendes Teamplaying notwendig machte. An diesem Abend in der Berliner Philharmonie sollte „Milestones" nicht die einzige Nummer sein, bei der ein hohes Tempo gespielt wurde. Reizvoll zeigte sich allerdings schon bei diesem ersten Track, wie harmonisch das neue Miles Davis Quintett hier agierte. Ziemlich am Anfang reduzierte Davis plötzlich die Lautstärke und auch die Geschwindigkeit, Drummer Tony Williams folgte ihm ebenso unverzüglich wie die anderen Drei. Dieses Wechselspiel erfolgte mehrfach und brachte so unglaubliche Spannung in diesen berühmten Standard. Großer Applaus des Publikums war die konsequente Folge

Eine brutal laute Trompete eröffnete in „Autumn Leaves" eine Ballade, die es freilich in sich hatte. Davis bewege sich zum Mikrofon hin und wieder weg, diese Lautstärke-Unterschiede mussten aufnahmetechnisch erstmal bewältigt werden! Im ersten Drittel hielten sich die Mitspieler noch zurück, die Spannung wurde von Davis geschickt aufgebaut, ehe dann über das lautstark einsetzende Schlagzeug Shorter ein Solo begann und später auch Hancock seinen Teil zu dieser schönen Melodie beitrug. Lautstärke- und Tempi-Variationen sind auch hier das Salz in der Suppe - ein weiteres Beispiel für die unglaubliche Attraktivität dieser Formation.

Auf Seite 2 dieser Schallplatte folgen mit „So What" und „Walkin" zwei weitere Davis-Klassiker, die einen Jazzfan entzücken, sofern er/sie Speed mag. Und eine rhythmisch variable Gestaltung sowie alternierende Phrasierungen - hier zeigte sich Davis und seine Band sehr ideenreich und innovativ. Die hier angewandte Improvisationskunst Inside-Outside gehört zu den von den Zuhörern bewunderte und zurecht beklatschte Technik dieser fünf Musiker auf der Bühne.

Dass man angesichts dieser fantastisch dargebotenen Musik kaum darauf achtet, dass es sich um eine Mono-Aufnahme handelt, ist nicht ungewöhnlich. Man ist von dem Geschehen so sehr gefesselt, dass technische Belange in den Hintergrund rücken. Trotzdem - zumindest für denjenigen, der besonders darauf achtet - fällt die extrem dynamische Komponente dieser Einspielung auf. Wer also eine künstlerisch exzellente Platte auf klanglich hohem Niveau sucht, wird mit „Miles In Berlin" ein neues Highlight für seine Sammlung gefunden haben. So jedenfalls erging es mir!

PS: Die Original-LP ist damals nur in Deutschland bei CBS erschienen und zwar in Pseudo-Stereo. Um an die alten Bänder zu gelangen, musste man seitens Speakers Corner eine lange Suche unternehmen, um sie schließlich beim SWR zu finden. Für die Wiederveröffentlichung gelang es schließlich, die neue LP vom Original SFB-Band zu mastern. Das fantastische Ergebnis rechtfertig jede Mühe! 

 

Fakten

Veröffentlichung Reissue: 21. September 2017 (Erstveröffentlichung: 1965)
Label: Columbia / Speakers Corner
Bestell-Nummer: 62976
Pressung: Pallas
Inhalt: 180g Vinyl
Besonderheit:

 

Besetzung

Miles Davis - trumpet
Wayne Shorter - tenor saxophone
Herbie Hancock - piano
Ron Carter - bass
Tony Williams - drums

Live-Aufnahme (Mono) 25. September 1964 in der Berliner Philharmonie durch den SFB

 

Trackliste

Seite 1

1. Milestones 7:56
2. Autumn Leaves 12:46

Seite 2

3. So What 10:38
4. Walkin' 10:36
5. Theme 1:48