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Eine technische Spezialität, die auch musikalisch ausgezeichnet wurde: TACET 219 | Foto: TACET

Oh, nein, schon wieder eine Neunte! Möchte man denken und wird man auch! Warum man als Klassik-Liebhaber trotzdem sein Augenmerk auf diese Schallplatte aus dem Hause TACET legen sollte, erklärt sich schnell: „Ludwig van Beethoven - Symphony No. 9" ist die dritte Ausgabe des Stuttgarter Plattenlabels mit einer rückwärts spielenden Seite! Was es damit auf sich hat und ob sich die LP auch musikalisch lohnt, erfahren Sie in dieser Rezension.

 

Ludwig van Beethoven - Symphony No. 9 in D minor op. 125 (2 LP, 180g Vinyl)

Beethoven-Symphony No 9 Tacet L219 VinylPassend zum Thema: fangen wir doch einfach mal von hinten an. Ich lege also Seite 4 auf und stelle fest, dass man bei Tacet auf raffinierte Weise auf Nummer sicher geht, damit der Vinyl-Fan diese Plattenseite auch wirklich richtig abspielt. Während Seite 1 bis 3 jeweils einen grünen Balken mit dem Text „Play Forwards" (vorwärts abspielen) zeigen, so hat Seite 4 einen roten Balken, der schließlich mit „Play Backwards (rückwärts abspielen) deutlich darauf hinweist: diese LP spielt von Innen nach Aussen. Was hat es damit auf sich?

 

TACET 219 - eine technische Spezialität

Noch einmal zum besseren Verständnis für alle, die gerade nur Bahnhof verstehen:
Normal wird die Nadel auf der äusseren Rille aufgesetzt und sie läuft während des Abspielens in die Mitte der Schallplatte bis in die Auslaufrille. Bei der rückwärtsspielenden LP ist es genau umgekehrt. Man setzt die Tonabnehmer-Nadel in dem Bereich der „Auslaufrille" (also in der Nähe des Labels) und kann beobachten, wie nun der Tonarm in Richtung nach aussen wandert. Die tatsächliche Auslaufrille dieser rückwärtsspielenden Plattenseite ist dann aussen. Setzt man versehentlich dort die Nadel auf (weil man den Hinweis mit dem roten Balken nicht gesehen hat), passiert nix! Es ist genauso, als würde man dies bei einer normalen Schallplatte im inneren Bereich neben dem Label tun.
Alles klar?

 

Nun bleibt die Frage, wofür der Aufwand, was bringt es?

Dazu muss man wissen, dass bei einer Schallplatte im äusseren Radius die Verzerrungen weit geringer als im inneren Radius sind. Man kann sich das vereinfacht auch so vorstellen: die Nadel läuft aussen eher im 90 Grad Winkel (also Richtung ideal, wie beim Schneidestichel) zur Rille als innen, wo es nicht nur enger zugeht, sondern der Winkel der Nadel zum Radius deutlich anders ist. Das bedeutet schlicht und einfach, dass die enorme Dynamik eines großen Orchesters im Bereich der Aussenrille besser abgebildet wird und entsprechend mehr Pegel beim Schneiden der Platte berücksichtigt werden kann.

Im Falle dieser Tacet-Einspielung ist dies wahrlich zu erleben, wohl dem, der ein Pegel-sicheres Hifi-Equipment sein eigen nennt! Die Seite vier gibt sich zum Schluss nicht nur opulent, sondern kommt mit großer Wucht. Den großen Chor und das Orchester in dieser Pracht darzustellen, stellt für jede Aufnahme der Neunten eine große Herausforderung dar, Tonmeister Andreas Spreer und sein Team haben dies mit Bravour gemeistert. Und bedenkt man, dass dies mit klassischem Equipment per Röhrentechnik, so ist man ohnehin tief beeindruckt!

 

Was kann die TACET Neunte musikalisch?

TACET L219 180g LPNach all dem technischen Infos will ich den Blick natürlich auf das Wesentliche rücken: die musikalische Qualität. Nun darf ich zu meiner Schande gestehen, ich bin kein Klassik-Experte und daher kaum prädestiniert, eine profunde Information dazu liefern zu können. Dennoch gebe ich meinen Eindruck wieder, wenn gleich ich auch auf eine Review der Luxemburger Webseite Pizzicato verweisen darf, die diese Einspielung schön und fachlich beleuchtet hat.

Mir liegen als Vergleich LPs mit Herbert von Karajan und den Berliner Philharmonikern (DG 138807 von 1965), Sir Georg Solti / Chicago Symphony Orchestra (Decca 6.42940 von 1972/1983) und René Leibowitz mit The Royal Philharmonic Orchestra (Reissue Edition Phönix EPH-05, die Originalaufnahmen stammen von 1961) vor. Subjektiv fehlt mir die Spannung bei der TACET-Platte und der gewisse Biss, der dafür sorgt, dass mich eine Interpretation fesselt. Allerdings stelle ich im direkten Vergleich zu den anderen Schallplatten fest, dass selbst die gelobten Varianten von Solti und Karajan gleiche Tempi aufweisen und nur in Details andere Akzente setzen. Ich vermute, dass an dieser Stelle jeder Klassikliebhaber andere Präferenzen hat und somit zu ganz unterschiedlich Beurteilungen kommt.

Einen besonderen Charakter darf man auch dem Aufnahmeort attestieren: die Danziger Johanneskirche wurde räumlich schön einbezogen, weshalb sich diese TACET-LP von Studioeinspielungen unterscheidet.

 

Fakten

Erstveröffentlichung: 2016
Label: Tacet
Bestell-Nummer: Tacet L 219
Pressung: Pallas
Inhalt: 2x 180g Vinyl, Klappcover
Besonderheit: Seite 4 spielt rückwärts

 

Besetzung

Polish Chamber Philharmonic Orchestra
Polish Chamber Choir Schola Cantorum Gedanensis
Wojciech Rajski - Dirigent
Bomi Lee - Soprano
Agnieszka Rehlis - Alto
Krystian Adam Krzeszowiak - Tenor
Tarek Nazmi - Bass

Aufnahmen 2015 in der Johanneskirche in Danzig, Polen.

 

Trackliste

Seite 1

1. Allegro ma non troppo, un poco maestoso 13:43

Seite 2

2. Molto vivace 12:42

Seite 3

3. Adagio molto e cantabile 13:11

Seite 4 (rückwärts abspielen)

4. Presto - Allegro assai 21:32

 

Weitere rückwärts spielende LPs von Tacet:

TACET L 207
Ravel: Bolero, La Valse

TACET L 977
Ravel: Ma Mere l'Oye, Tzigane

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